Donnerstag, 25. November 2010

Textanalyse und Textkategorien

(Klinkert, S. 15 - 17)
Das Verstehen eines Textes geht über die intuitiven Eingebungen eines ersten Lesens hinaus und erfordert ein geschultes Leseverständnis und eine Textanalyse.

Textkategorien:
- literarische Texte (Primärliteratur)
Sie sind zentraler Bestandteil und Objektbereich der Literaturwissenschaft.

- literaturwissenschaftliche Texte (Sekundärliteratur - Metatexte)

- literaturtheoretische Texte (Metatexte im zweifachen Sinn, bezogen auf die Primär- und Sekundärliteratur)

Die Strukturanalyse und die Semiotik stellen die für die Textanalyse erforderlichen "Instrumente" bereit.

Leitlinien der Einführung in die Literaturwissenschaft:
1. Wie kann man literarische Texte analysieren?
2. Was leisten literarische Texte, was ist ihre Funktion - und warum sollte man sich mit ihnen befassen?

Der Gegenstandsbereich der Literaturwissenschaft

(Klinkert, Seite 12/13:)

Gegenstandsbereich der Literaturwissenschaft:


Literarische Texte als Teil literarischer Kommunikation sowie der an dieser Kommunikation beteiligten Subjekte und deren Interpretationsleistung.

Lesen bedeuted: Auf Interpretation beruhende Sinnkonstruktion.
Sowohl literarische Texte selbst als auch (kommuikative) Interpretation bedienen sich der natürlichen Sprache. Die Speicherung und Übertragung literarischer Interpretation hängt von technisch-medialen Bedinungen ab.

Die Literaturwissenschaft bedient sich der so genannten Metasprache um literaturwissenschaftliche Phänomene möglichst exakt benennen zu können. Sie ist im Idealfall präzise und flexibel zugleich. Eine kritische Literaturwissenschaft basiert auf Textanalyse (S. 14).

Unterscheidung zweier Wissenschaftstypen nach Jürgen Habermaß

(Thomas Klinkert, S. 6)
  • Jürgen Habermas:
nomologische Wissenschaften versus historisch-hermeneutische Wissenschaften.

Nomologische Wissenchaften:
abstarkte, theoretische Wissenschaften; wörtlich: die 'Gesetzeslehre'.

Sie gewinnen und überprüfen Gesetzeshypothesen über empirische Gleichförmigkeiten - dies entspricht den Naturwissenschaften.

"Nomologie" ist ein Begriff aus der Philosophie und wird auch in der Soziologie sowie Psychologie verwendet. Der Begriff kommt aus dem griechischen und setzt sich aus griechisch νόμος = nomos - 'Gesetz; Ordung' und der Endung -logie von griechisch λόγος = logos - Wort, HIER: Lehre zusammen.
Erklärungen werden vorangig in zuvor erkannten Gesetzmäßigkeiten gesucht (Absteigen vom Allgemeinen zum Besonderen - deduktiver Verstehensprozess ('top down')).

Historisch-hermeneutische Wissenschaften
Sie eignen sich tradierte Sinngehalte an und verarbeiten diese analytisch - vgl. die Hermeneutik. Entspricht den Geisteswissenschaften.

Beide Paradigmen sind gleichwertig legitime wissenschaftliche Herangehensweisen.

Mittwoch, 24. November 2010

Thomas Klinkert - Einführung in die französische Literaturwissenschaft

Französische Literatur als universitäre Disziplin trägt an französischen Hochschulen nicht den Titel Wissenschaft/ sciene. Nicht science littéraires sondern lettres. Science bezeichnet in Frankeich vor allem Naturwissenschaft, was erklärt warum der Begriff Literaturwissenschaft so dort nicht exisitert. Ein Literaturwissenschaftler wird in Frankreich critique littéraire genannt, in Unterscheidung zur feuilletonistischen Kritik critique universitaire. Den Text- und Interpretationswissenschaften liegt ein anderer Begriff von Wissenschaftlichkeit zu Grunde als den 'exakten' und empirischen Wissenschaften.

Literaturwissenschaft und critique littéraire - ein asymmetrisches Begriffspaar, dem jeweils unterschiedliche kulturelle Konzepte zu Grunde liegen.

Die Unterscheidung zwischen science und critique in Frankreich basiert auf der Beobachtung, dass die Literaturwissenschaft nicht in selbem Maße eine Wissenschaft ist wie dies die Naturwissenschaften sind- Letzerer bedinene sich strengerer und formlisierterer Begriffssysteme sowie exakter Beobachtungs- und Meßgeräte.



Prousts Auffassung über die mémoire volontaire und - involontaire

In einem Interview von 1913 erschienen in Le Temps, sagte Proust:

"Mein Werk wird von der Unterscheidung zwischen mémoire volontaire (willkürliche Erinnerung) und mémoire involontaire (unwillkürliche Erinnerung) dominiert. Eine solche Unterscheidung findet sich nicht in der Philosophie von Bergson wieder. Sie läuft ihr sogar entgegen da ihr von Bergsons Philosophie widersprochen wird.

Ich denke, dass die willkürliche Erinnerung, welche eine Erinnerung der Intelligenz und der Augen ist, uns von der Vergangenheit lediglich Gesichter/ Abbilder ohne Wahrheit liefert; wohingegen ein wieder gefundener Duft oder Geschmack unter vollkommen veränderten Bedingungen in uns und trotz unserer selbst die Vergangenheit wieder aufleben lässt. Wir fühlen (instinktiv) wie stark sich diese Vergangenheit von jener unterscheidet, die wir glaubten uns ins Gedächtnis gerufen zu haben, so als hätte unsere willkürliche Erinnerung die Vergangenheit mittels schlecht gewähler Farben gemalt, ohne Wahrheit, sowie die schlechten Maler.
Bereits in diesem ersten Band (hier: Du côté de chez Swann) werden sie die Romanfigur, welche sich mit "ich" bezeichnet jedoch nicht mich meint, dabei beobachten wie sie auf einmal verflossene Jahre, Gärten, vergessene Wesen entdeckt und dies alles während diese einen Schluck Tee zusammen mit einem Stück Madeleine-Gebäck zu sich nimmt.

Sicherlich erinnert der Held sich bereits zuvor an diese Vergangenheit, jedoch ohne ihre Farbe, ohne ihren Zauber. Ich konnte ihn dazu veranlassen zu sagen, dass all jenes was nach und nach Form und Stabilität annahm, Stadt und Gärten, all die Leute aus dem Dorf und ihre kleinen Häuser und die Kirche und ganz Combray - gleich jenem japanischen Spiel bei dem man feine Papierstreifen in eine Porzellanschale mit Wassser taucht, die sich zunächst nicht von einander unterscheiden, aber sich dann mit Wasser vollsaugen und ausdehnen, auseinandergehen, Umriss und Farbe gewinnnen, zu Blumen werden, zu Figuren, zu allen Blumen unseres Gartens und jenen aus dem Park von Swann und die Seerosen auf der Vivonne und all die Leute aus dem Dorf und ihre kleinen Häuser - all dies aus einer Tasse Tee aufstieg. (Vgl. dazu Sabine Kyora: Eine Poetik der Moderne. Zu den Strukturen modernen Erzählens.)


Sehen Sie, der Künstler sollte sich ausschließlich im Bezug auf die unwillkürlichen Erinnerungen den grundelgenden Stoff seines Werkes erarbeiten. Zunächst einmal deshalb, weil dieses sich aus sich selbst bilden. Angezogen durch die Ähnlichkeit einer identischen Minute, haben sie allein das Markenzeichen der Authentizität inne. Und schließlich liefern sie uns die Dinge in einer exakten Dosierung zwischen Erinnerung und Vergessen. "


Dienstag, 23. November 2010

A la recherche du temps perdu - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

A la recherche du temps perdu ist das Hauptwerk Marcel Prousts, geschrieben zwischen 1908 und 1909 sowie 1922. Der gesamte Romazyklus spielt in Paris und Umgebung, im gehobenen Bürgertum, zur Zeit des Fin de Siècle und der Belle Époque. Insgesamt umfasst er sieben Teile in 15 Bänden, wovon Du côté de chez Swann (dt. In Swanns Welt) den ersten Band darstellt.

Dieser wiederum ist in 3 Teile gegliedert:
1. Combray
2. Un amour de Swann
3. Nom du pays: le nom

  • A côté de chez Swann - In Swanns Welt
Longtemps je me suis couché de bonne heure... Lange Zeit legte ich mich früh schlafen...

Der Roman beginnt mit den Beschreibungen eines schlaflosen Ich-Erzählers, der sich alle Schlafstuben, in denen er im Laufe seines Lebens bisher genächtigt hat, in Erinnerung ruft. Im Halbschlummer versucht er sich das Leben von früher, das Leben seiner Kindheit, vorzustellen als er mit der Familie bei der Großtante in Combray weilte.


- Die verschiedenen "Ichs"

Es wird zwischen dem anfänglichen "Ich" des Erzählers sowie den Erinnerungen an Combray des "Ichs" des Helden Marcel unterschieden. Das Ich des Erzählers ist zu Beginn des ersten Teils Combray gegenwärtig und schließt diesen Teil auch ab, lässt außerdem das "Ich" des Helden in dessen verschiedenen Lebensabschnitten auftreten. Dr. phil. Ulrike Sprenger geht in ihrer Dissertation Stimme und Schrift: inszeniert Mündlichkeit in Marcel Proust A la recherche du temps perdue auch auf jenes Wechselspiel von erlebendem und erzählendem Ich und der schwer festlegbaren Erzählsituation ein, welche sich zwischen verschiedenen erlebenden sowie erzählenden Instanzen hin- und herverlagern würde.

- Mémoire volontaire und mémoire involontaire

Die Erinnerung spielt im gesamten Roman eine Schlüssel-Rolle, da sie den Zugriff auf die Vergangenheit oder zumindest auf die näherungsweise Rekonstruktion derselbigen ermöglicht. Diese Rekonstruktion der Vergangenheit geschieht sozusagen "mehrgleisig", durch bewusste Erinnerung und den Versuch, bewusster Rekonstruktion des Vergangenen (mémoire volontaire) einerseits. Jene Art der Erinnerung, auch mémoire de l'intélligence genannt, verläuft anhand logischer, wohl überlegter und rationaler Prozesse. Andererseits bezieht Proust eine weitere Form der Erinnerung ein, welche dieser erstgenannten rationalen Erinnerung beinahe entgegensteht. Sie läuft unbewusst auf psychologisch-mentaler Ebene ab und wird als unwillkürliche Erinnerung (mémoire involontaire) bezeichnet. Eine der Schlüsselszenen schlechthin dafür stellt die berühmte "Madeleine"-Szene dar, in welcher der Held aufgrund der Geschmackserlebnis eines in Tee getauchten Stück Gebäcks unerwarted in die Lage versetzt wird unterbewusste, ungeahnte Erinnerungen an die Jugendzeit in Combray frei zu setzen und zum wahren Kern seiner Erinnerungen vorzudringen. Der Bereich der rein rationalen Erinnerungskonstruktion weicht einem pluridimensionalen und sensuellen Erinnerungserlebnis, welche ganze Sinnes-Ketten der Erinnerung ähnlich einer umfallenden Domino-Stein-Reihe sichtbar macht.

Freitag, 19. November 2010

Marcel Proust - Biographisches

Beim literaturwissenschaftlichen Kanon zäum eich sprichwörtlich das Pferd von hinten auf und beginne mit der Moderne.


Marcel Proust

Marcel Proust wird am 10. Juli 1871 in Auteuil (gelegen im 61. Quartir der Stadt Paris, Nahe des Bois de Boulogne) geboren. Politisch bestimmt wird das Geburtsjahr Marcels durch das Ende des deutsch-französischen Krieges sowie durch den Pariser Kommunenaufstand.

Adrianne Weil, Tochter eines Wertpapierhändlers jüdischen Glaubens, wahrscheinlich elsässischer Abstammung oder gar aus der Nähe von
Stuttgart stammend, hatte 1870 den katholischen Arzt Dr. Adrien Proust geheiratet. Dessen Familie widerum stammt aus Illiers (Dpt. Eure-et-Loire). In Illiers wurde zunächst eine Straße nach Adrien Proust benannt, zu Ehren Marcel Proust später in Illiers-Combray umbenannt.
1873 sollte der zweite Sohn, Robert, zur Welt kommen.

Marcel soll von Kindesbeinen an schwach und kränklich gewesen sein, er litt an Asthma sowie Neurasthenie, einer Nervenschwäche. Im Alter von 9 Jahren erlitt er einen ersten schweren Asthma-Anfall, wobei er nur knapp dem Tod entging. Nach dem Studium der Rechts- und Literaturwissenschaft wurde er kurzzeitig als nicht entlohnter Bibliothekar in der Pariser Bibliothèque Mazarine tätig. Diese Tätigkeit gab er jedoch bald auf, um sich dem Verfassen literarischer Werke zu widmen, beispielsweise dem (unvollendeten) Romanprojekt Jean Santeuil.

Marcel Proust war homosexuell und unterhielt eine Beziehung zu seinem Chaffeur und späteren Sekretär Alfred Agostinelli, der 1914 bei einem Flugzeugabsturz starb. Seine Homoxexualität hebe ich nur deshalb heraus, da diese wohl einen nicht unbedeutenden Einfluss auf seine Werke gehabt haben soll. Er war einer der ersten, der frei heraus über seine sexuellen Neigungen schrieb.

Ab 1912 begann er an seinem Roman- und Lebenswerk A la recherche du temps perdu - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zu arbeiten, wofür er später den renommierten Prix Goncourt erhalten sollte. Außerdem wurde Marcel Proust zum Ritter der Ehrenlegion ernannt und nach seinem Tod am 18.November 1922 mit militärischen Ehren auf dem berühmten Pariser Friedhof Père Lachaise bestattet.